Kurze Geschichte des jüdischen Friedhofs Frankfurt (Oder), heute im polnischen Słubice gelegen
Der Friedhof der Frankfurter Juden wurde erstmalig 1399 urkundlich erwähnt. Aus dem Text dieser Verkaufsurkunde geht hervor, dass der Begräbnisort sich dort schon längere Zeit befunden hat. Man geht von gut 100 Jahren aus, so dass seine Einrichtung um 1280-90 stattgefunden haben könnte. Schon vor der Gründung der Stadt Frankfurt (Oder) im Jahre 1253 siedelten sich hier Juden an, die damals aus Westeuropa vertrieben worden waren. Es ist nicht auszuschließen, dass hier Juden begraben sind, die die Stadtgründung miterlebt haben. Der Friedhof liegt an der Gabelung der Straßen nach Reppen und Crossen (Rzepin / Krosno Odrzańskie)
Dieser erste Bestattungsabschnitt, der in der Verkaufsurkunde als auf dem Judenberg liegend beschrieben wird, hat die Form eines unregelmäßigen Fünfecks und war bis 1965 mit einer etwa 70 cm hohen Feldsteinmauer umgeben. Die Judenberge erheben sich links vom ehemaligen Forsthaus Grundschäferei (ul. Transportowa 6). In der Nähe befand sich der 1901 errichtete und 14,5 m hohe Bismarckturm. Das ehemalige Forsthaus gehört heute der Forstverwaltung Rzepin. Der Höhenzug endet im Norden am ehemaligen Forsthaus Hängebusch (ul. Sportowa 38). Hier befindet sich auch die höchste Erhebung der Judenberge, nämlich 60 m, hier wurde 1892 der Kleistturm errichtet.
Der erste Friedhofsteil ist im Verhältnis zur Gesamtgröße und Zeitspanne relativ klein. Die Ursache ist in den mehrmaligen Judenvertreibungen aus der Stadt zu suchen, während derer der Friedhof nicht genutzt wurde. In einem erhaltenen Sterberegister aus der Zeit von 1677-1866 werden rund 1.100 Bestattungen beurkundet. Die ältesten nachgewiesenen Grabsteine stammen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sie waren aus Sandstein mit ausschließlich hebräischer Inschrift und sahen relativ gleich aus. Es konnten bis jetzt auf diesem ersten Abschnitt neun Rabbinergrabstellen nachgewiesen werden, wobei Rabbi Joseph, Sohn von Meir Theomim als der Bedeutendste gilt. Als der Verfasser von Kommentaren zu den jüdischen Speisevorschriften unter dem Namen Pri’megadim, d.h. Gute Früchte, erwarb er sich auf Dauer hohes Ansehen. In der jüdischen Welt wird er nur nach diesem Werk „der Pri’megadim“ genannt. Die Erstausgabe seines Werkes wurde 1785 von Prof. Dr. Grillo in Frankfurt (Oder) gedruckt. Frankfurt an der Oder war als Universitäts- und Messestadt ein bedeutender hebräischer Buchdruck- und Buchhandelsstandort.
1865 erfolgte die erste Erweiterung des Friedhofs. Die inzwischen mehrheitlich liberale Synagogengemeinde umbaute den neuen Bestattungsabschnitt mit einer etwa 2,5 Meter hohen Mauer. Auf diesem zweiten Beerdigungsbereich konnte man den unterschiedlichen Wohlstand der Verstorbenen an den Grabsteinen erkennen. In der Grabgestaltung erfolgte eine starke Annäherung an die hiesige Friedhofskultur. Vom schmuckvollen Familienbegräbnis bis zur Einzelgrabstelle war alles vorzufinden. Hier bestanden die Grabsteine aus härteren Materialien wie Marmor, Granit oder Zementguß.
Nach 1867 wurde eine Leichenhalle errichtet, eine Neuerung vom Anfang des 19. Jahrhunderts, die bis dahin auf jüdischen Friedhöfen nicht üblich war. Das Bauwerk im neuromanischen Stil mit einer Grundfläche von 65,94 m² war mit gelben Klinkern verkleidet. Die Kuppel mit einem Durchmesser von 8,12 m hatte eine Kupfereindeckung. Bei Sonnenschein leuchtete in 13 m Höhe weithin sichtbar der vergoldete Davidstern. Für Reisende aus Richtung Crossen war das der erste Eindruck von Frankfurt (Oder).
Das erste Leichenhaus war auf dem jüdischen Friedhof in Weimar errichtet worden, worüber in der Allgemeinen Zeitung der Juden im Jahre 1837 berichtet wird.
Für eine neuerliche Erweiterung wurde schon Anfang des 20. Jahrhunderts eine Fläche neben dem zur Zeit genutzten Bereich erworben, die vom Friedhofsgärtner Otto Billerbeck als Park gestaltet und ab 1940 als dritter Beerdigungsabschnitt genutzt wurde. Noch im Jahre 1937 errichteten die Frankfurter Juden auf diesem dritten Bestattungsabschnitt ein Kriegerdenkmal zur Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg gefallenen 17 jüdischen Soldaten Frankfurts. Das vom Reichsbund jüdischer Frontsoldaten gestiftete Denkmal wurde in Anwesenheit der Judenheit von Frankfurt und Umgebung unter den Augen der Gestapo vom Landsberger Rechtsanwalt Kann eingeweiht.
Die nationalsozialistische Regierung hatte angeordnet, dass die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland alle Friedhöfe den Gemeinden und Städten, in denen sie lagen, zum Kauf anbieten mussten. Am 29. Dezember 1942 wurde dieses Angebot dann auch dem Frankfurter Oberbürgermeister gemacht. Der Schriftwechsel zog sich bis 1944 hin. Am 2. Dezember 1944 erfolgte der Zwangsverkauf des jüdischen Friedhofs mit seiner Fläche von 20.737 m² an die Stadt. Praktische Folgen hatte das nicht, denn die Grundbuchänderung sollte erst nach dem Kriegsende erfolgen. Der am 11. Dezember 1944 verstorbene Frankfurter Arzt und Internist Dr. Hermann Marcus, Wilhelmsplatz 20, wurde als letzter Jude auf dem Beerdigungsabschnitt Drei beigesetzt. Er erhielt als einer der Wenigen in diesem Bereich einen Grabstein.
Im Gegensatz zur Frankfurter Synagogengemeinde hatte der Friedhof laut Billerbeck die NS-Zeit und den Krieg relativ unbeschadet überstanden. Er lag nun auf polnischem Staatsgebiet. Von Mai bis September 1945 wurden mindestens 82 gefundene deutsche Soldaten und Volkssturmleute, direkt auf dem Hauptweg, der zur Leichenhalle führte, begraben. Die Kriegsgräber, die bis 1975 erkennbar waren, sind in einer ausführlichen Kriegsgräberliste dokumentiert.
Am Totensonntag 1956 besuchte erst- und letztmalig nach dem Krieg eine Frankfurter Gruppe, u.a. auch Billerbeck, den Damm- sowie den jüdischen Friedhof in Słubice und gedachte der Toten, was dann danach nicht mehr möglich war. Neun Jahre später, 1965, betrat ich zum ersten Mal den jüdischen Friedhof. Die Natur hatte schon begonnen, den Ort zurück zu erobern. Dennoch war es ein beeindruckender Ort.
1975, nach weiteren zehn Jahren, wurde die jahrhundertealte Begräbnisstätte der Frankfurter Juden mit der Umnutzung zum großen Teil topographisch zerstört und der Rest verwüstet. Die Grabsteine des zweiten Abschnitts wurden entwendet während die Sandsteine des ältesten Beerdigungsabschnitts als wertlos betrachtet, zerschlagen und in die erste Słubicer Müllkippe an der ul. Powstańców Wielkopolskich (Schwetiger Weg) verbracht wurden. Auf der planierten Fläche wurde ein Hotel mit Gaststättenbetrieb errichtet, wobei der polnische Volksmund sarkastisch vom „Gasthaus auf der Leiche“ sprach. Die Feststellung der Gazeta Lubuska vom 5. Juni 2007, dieser jüdische Friedhof sei während des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen zerstört worden, entspricht nicht der historischen Wahrheit.
Der Friedhof schien nach seiner Zerstörung in Vergessenheit zu geraten, bis im Frühjahr 1999 eine Gruppe amerikanischer und israelischer Rabbiner in Frankfurt (Oder) auftauchte, um auf dem Friedhof die Grabstelle des Pri’megadim aufzusuchen. Ihnen war zu dieser Zeit nicht bekannt, dass der Friedhof jetzt in Polen lag. Als Folge wurde das amerikanische „Komitee zur Restaurierung des jüdischen Friedhofs in Słubice“ unter der Präsidentschaft von Rabbi Berel Polatsek gegründet. Neben der ehemaligen Leichenhalle wurde im Sommer 1999 von den Städten Słubice und Frankfurt anläßlich der 600. Wiederkehr der Ersterwähnung des Jüdischen Friedhofs ein Gedenkstein errichtet. Die Inschrift: „Angelegt im XIV Jh.” ist daher falsch.
Durch Lageplan- und Luftbildauswertung, sowie Überlieferungen vom Friedhofsgärtner Billerbeck konnte in dem topographisch völlig veränderten Gelände die Grabstelle des berühmten Rabbis annähernd eingegrenzt werden. Dieser Platz wurde dann durch rabbinische Akklamation zur endgültigen Grabstelle erklärt. Nach Beginn der Bauarbeiten für die Grabstelle wurde vor der ehemaligen Friedhofsmauer ein alter Weg freigelegt, der im Bereich der Akklamationsstelle eine Aufweitung hatte. Der seit 1866 nicht mehr genutzte Friedhofsteil war auch von Billerbeck nicht mehr gepflegt worden, weil es niemanden gab, der dort noch Gräber besuchte. Bis auf eine Ausnahme, der „Pri Megadim“. An seinem Todestag im jüdischen Monat Ijar, das ist April/Mai nach unserem Kalender, kamen bis zu 300 Pilger an sein Grab. Es ist anzunehmen, dass der gefundene Weg mit seiner Aufweitung in diesem Zusammenhang zu sehen ist.
Die neue Grabstelle wurde mit einer feierlichen Zeremonie am 4. Mai 2004 in Anwesenheit von Herrn Konsul Gerald C. Anderson von der Amerikanischen Botschaft in Warschau, Herrn Marek Lewandowski als Vertreter des Wojwoden des Lebuser Landes, Herrn Ryszard Bodziacki, Bürgermeister von Słubice und Frau Katja Wolle, Bürgermeisterin von Frankfurt (Oder), von Rabbi Polatsek geweiht.
17. Juni 2007, Groß Neuendorf, Workshop: Jüdische Spuren in der deutsch-polnischen Grenzregion